Die Tür springt auf, die Milizionäre stürzen sich auf die Mutter, schleppen sie aus dem Zimmer. Die Mutter wehrt sich, schreit. Dann ist auch sie verschwunden. Alex Glesel hat keine Erinnerung an diese Nacht. Er war zwei Jahre alt. Erst viel später hat er das alles erzählt bekommen. Wie er auch erst viel später erfahren hat, dass der Vater kurz nach seiner Verhaftung in einem Waldstück in der Nähe von Leningrad erschossen wurde.
Er hat oft versucht, sich vorzustellen, wie es wohl gewesen ist. Wie die Mutter blutend aus dem Zimmer geschleift wird. Wie der Vater im Wald den Genickschuss bekommt. Es kann sein, dass solche Bilder noch schlimmer werden, wenn man sie selbst erschaffen muss. In dem Waldstück, in dem Glesels Vater starb, wurden innerhalb einer Woche 43 000 Menschen von Erschießungskommandos ermordet und verscharrt.
Das geht aus den Exekutionslisten des sowjetischen Geheimdienstes NKWD hervor, die später gefunden wurden. Insgesamt wurden neuesten Forschungen zufolge allein in den Jahren 1937 und 1938 in der Sowjetunion etwa drei Millionen unschuldige Menschen auf staatlichen Befehl hin ermordet. Zu den Terroropfern gehören auch etwa dreitausend Deutsche, darunter viele Kommunisten. Regime die eigenen Leute abschlachten ließ. Anfangs ging es wohl darum, innerparteiliche Gegner zu beseitigen und das Volk durch Angst zu beherrschen.
Aber irgendwann verselbstständigte sich das Morden, alles lief aus dem Ruder. Die Immigranten waren eine beliebte Zielgruppe des Terrors, weil Ausländer in der Sowjetunion immer als gefährlich galten. KPD, die im Moskauer Hotel Lux saßen und die Todeslisten ihrer eigenen Leute abzeichneten. Vielfach kamen störende Genossen erst durch Hinweise von Ulbricht, Pieck und Wehner auf die Listen. Alex Glesel kommt in ein Kinderheim in der Nähe von Leningrad. Nach etwa sechs Wochen geschieht ein Wunder: Seine Mutter wird aus dem Gefängnis freigelassen.
nach einer Verhaftung zurückgekehrt sind. Die Mutter holt ihren Sohn aus dem Heim. Haus, das fast leer ist, weil viele Nachbarn tot oder verschleppt sind. Juni 1941 greift Deutschland die Sowjetunion an. Nur wenige Tage später ergeht in Leningrad der Erlass, die Kinder aus der Stadt zu bringen. Die Mutter packt zwei Taschen und einen Rucksack, sie fahren zusammen zum Bahnhof, werden durchgezählt.
Die Kinder steigen in den Zug. Glesel stockt, als er von der Abfahrt aus Leningrad erzählt. Es ist kurz still im Wohnzimmer. Er setzt erneut an, aber die Stimme rutscht weg.
Tränen steigen in seine Augen. Monatelang fahren sie im Land umher, steigen von einem Zug in den anderen. Sie sind im Sommer in Leningrad losgefahren und kommen im verschneiten sibirischen Winter an. Zwischendurch ist Glesel sechs Jahre alt geworden. Das Dorf, in dem sie bleiben werden, heißt Noferewo. Vier Jahre verbringt er dort. Dann ist Leningrad befreit und die meisten anderen Kinder dürfen nach Hause zurück.
Nur die Kinder, die keine Verwandten mehr haben, werden in ein anderes Heim nach Jurtiska geschickt. Bei der Gelegenheit erfährt Alex Glesel, dass seine Mutter schon Jahre zuvor in ein Lager nach Kasachstan deportiert wurde. Weil sie eine Deutsche ist und nun zu den Kriegsgegnern gehört. Die Heimleiterin sagt, vermutlich sei seine Mutter lange tot. jeden Tag Brot backen, für sechzig Kinder plus Personal. Nachts steht er auf, heizt den riesigen Ofen, rührt den Teig an. Tagsüber hackt er Holz oder arbeitet auf dem Feld.
Manchmal wird ihm schwindelig vor Müdigkeit und Hunger. Drei Jahre lang geht das so, bis zum August 1948. Da geschieht erneut ein Wunder: Die Ausländerpolizei informiert das Heim darüber, dass die Mutter von Alex Glesel als Zwangsarbeiterin in Karaganda lebt. Eine Betreuerin soll ihn dort hinbringen. Monatelang sind sie unterwegs, bis sie ankommen in Karaganda, in der Zweiten Wassergasse 175.
Alex Glesel hatte sich ein Haus vorgestellt. Ein Haus in einer Stadt, in der es ihm endlich besser gehen würde. Stattdessen steht er nun vor dieser Höhle, die in den schmierigen Lehmboden gegraben ist. Seine Mutter tritt heraus. Dann stehen sie sich gegenüber, sieben Jahre, nachdem er in Leningrad in den Zug gestiegen ist. Die Mutter weint, er bleibt seltsam reglos.
Er kann nicht fühlen, was da gerade geschieht. Am nächsten Tag haben sie einen Termin bei der Ausländerpolizei. Du bist dreizehn, du bist Deutscher, also wirst du im Bergbau arbeiten. Acht Jahre, in denen er mit dem Tod in engem Kontakt steht. Er sieht die Leichen der Kameraden, die unten im Bergwerk verunglücken oder oben in ihren Erdlöchern verrecken.
Er ist jetzt 21 und hat eigentlich sein ganzes Leben lang nur Angst und Hunger gehabt. Er ist stumpf geworden, leer. Selbst die Nachricht, die ihn im Mai 1956 erreicht und die besagt, dass er jetzt nach Deutschland reisen kann, nach Hause, lässt ihn kalt. Wo soll das sein? Deutschland ist für ihn die Heimat der Faschisten.
Er spricht kein Wort Deutsch. Er weiß nicht, was er dort soll. Die Mutter fährt zurück nach Berlin. Er soll nachkommen, wenn er kann, wenn er bereit dafür ist.
Im November 1956 kommt Alex Glesel am Berliner Ostbahnhof an. tralkomitee der SED holt ihn ab. Die Genossen sagen, er dürfe niemandem erzählen, was ihm in der Sowjetunion geschehen ist. Aber auch von der Zukunft, die es nun zu meistern gilt. Glesel läuft durch die Straßen von Berlin.
Er sieht Läden, in denen es Eier und Milch zu kaufen gibt. Er versteht nicht, warum die besiegten Faschisten mehr zu essen haben als die Sowjetbürger. Kindern aus befreundeten Familien zusammen.
Die erklären ihm, was passiert ist. Zum ersten Mal hört er etwas Schlechtes über Stalin. Man erzählt ihm vom Terror, von den vielen Opfern.
Er ahnt jetzt, warum seine Mutter nicht mit ihm über Vergangenes redet. Warum er selbst sich so verloren fühlt. Er begreift, dass die DDR von Leuten regiert wird, die dabei geholfen haben, seinen Vater zu töten. Schon deshalb tritt er nicht in die Partei ein. Mehr Widerstand wagt er nicht. Glesel lernt Deutsch, arbeitet als Dolmetscher für russische Delegationen.
Manchmal versucht er, den deutschen Kollegen oder Freunden seine Geschichte zu erzählen. Aber niemand will das hören. Er sieht die Angst in den Gesichtern, wenn er anhebt, von den Lagern zu erzählen. Das bedrückte Schweigen lässt auch ihn verstummen.
Er fühlt sich isoliert, ausgegrenzt. Für die Deutschen ist er der Russe, der seltsame Typ, der nicht mit ihnen lachen kann. So kehrt sich die Geschichte um und wiederholt sich eigentlich doch nur.
Kind, das nirgendwo hingehört. Zum Glück lernt er eine Frau kennen, die ihn versteht, weil sie selbst als Kind in der Sowjetunion war. Sie bekommen Kinder, bauen das Haus mit den hellbraunen Klinkersteinen und legen im Keller den Sauerkohl ein. Das Leben reißt ihn mit, der Alltag betäubt. Die Jahre fliegen dahin.
Als die Mauer fällt und die Archive geöffnet werden, wird es noch mal schwer. Auf einmal erfährt er mehr, als er je wissen wollte. Viele Jahre werden vergehen, bevor er seine Geschichte erstmals ganz erzählen kann. als ob dieses erste Leben nun doch ein wenig von ihm abgefallen ist. Geblieben sind die Träume.
Nachts reist er regelmäßig nach Sibirien. In das Kinderheim von Jurtiska. Neulich träumte er, wie er im Essensraum des Heimes sitzt. Wie er isst und isst und niemals satt wird. Wenn er dann aufwacht, in seinem warmen, weichen Bett in Berlin, dann ist das Leben für einen Moment lang richtig schön. Maxim Leo: Lebenslänglich, in: Berliner Zeitung vom 29. November 2011, online unter Biografie von Robert Service im Suhrkamp Verlag geplant.
Biografie von Robert Service im Suhrkamp Verlag gewandt. Im Folgenden wird dieser Brief im Wortlaut wiedergegeben. Biographie von Robert Service vor. In der Fachwelt hat dieses Vorhaben Verwunderung und Besorgnis ausgelöst. Experte David North einer genauen Analyse unterzogen.
Er kam zu dem Schluss, dass Robert Service grundlegende Standards der Geschichtswissenschaft missachtet hat und sein Verlag die gebotene verlegerische Sorgfalt vermissen lässt. Biographen Bertrande Patenaude in The American Historical Review hat die Kritik von North in vollem Umfang bestätigt. Gerade schwer zugängliche und für die meisten Leser kaum überprüfbare Quellen haben oft mit dem Behaupteten nichts zu tun oder belegen eher das Gegenteil. mit Trotzki und Stalin auseinander.
Das Ziel seiner Arbeit ist vielmehr die Diskreditierung Trotzkis, und er greift dabei bedauerlicherweise vielfach auf Formeln zurück, die aus der stalinistischen Propaganda bekannt sind. Biographie ist eine Schmähschrift. Der Evening Standard vom 23. aber wenn der Eispickel nicht gereicht hat, ihn endgültig zu erledigen, habe ich das nun hoffentlich geschafft. In den zahllosen Polemiken gegen Trotzki hat stets auch seine Herkunft aus einer jüdischen Bauernfamilie eine prominente Rolle gespielt.
Die Passagen, in denen er darauf zu sprechen kommt, haben einen befremdlichen Beiklang. Russische Antisemiten sahen in den Juden eine Rasse ohne patriotische Bindung an Russland. Nach Lage der Dinge war er schon zum berühmtesten Juden auf Erden geworden.